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Dem Hörverlust die Zunge zeigen

Die herausgestreckte Zunge, wer kennt nicht das legendäre Logo der Rolling Stones? Mehr als 40ʼ000 Fans geniessen die Rock-Veteranen im Zürcher Letzigrund. Freiwillige von Sonova verteilen für die Hear the World Foundation Gehörschutz und informieren Konzertbesucher über mögliche Folgen von zu lauter Musik für das Gehör.

Es ist wie bei einer Schleusenöffnung: In einem unaufhörlichen Strom ziehen die Konzertbesucher zu hunderten an den beiden Sonova Freiwilligen Katrin Egli und Feifei Pilet vorbei. Obwohl das Konzert der wohl ältesten Rockband der Welt im Zürcher Letzigrund-Stadion erst in drei Stunden beginnen wird, haben es die Menschen eilig zu ihren Plätzen zu kommen. Und doch, die meisten greifen noch rasch nach einem der kleinen blauen Päckchen mit Gehörschutzstöpseln, die ihnen Egli und Pilet anbieten.

Wer häufig Musikkonzerte besucht und sein Gehör dabei nicht schützt, kann sein Hörvermögen nachhaltig schädigen. Deshalb hat die Hear the World Foundation eine Aufklärungskampagne gestartet, in der sie über Hörgewohnheiten informiert und Tipps gibt, wie man sein Gehör schützen kann.

Für Egli und Pilet ist es ihr erster Einsatz als Freiwillige für die Hear the World Foundation. «Ohrenwehr» steht auf dem feuerwehrroten Sweatshirt von Katrin Egli. Bei Sonova arbeitet die 30-Jährige als Project Manager Global Pricing and Lifecycle. «Der Einsatz hier ist mal ganz etwas anderes», lacht sie, während sie unaufhörlich in ihre rote Umhängetasche greift, um weiteren Gehörschutz zu verteilen. «Es macht Spass, und ich freue mich, dass ich für unsere Stiftung tätig sein kann», sagt sie.

Der Gratisgehörschutz kommt bei den Besuchern gut an. «Zuerst habe ich mich gewundert», sagt der 60-jährige Thomas Berger. «Aber eigentlich ist das nur konsequent.» Schon in seiner Jugend hätten ihn seine Eltern gewarnt, als er laute Musik hörte. «Du wirst später mal nichts mehr hören, haben sie mir immer gesagt.» Zusammen mit seinem 22-jährigen Sohn Philipp ist Berger extra für das Konzert aus Stuttgart angereist. Vater und Sohn sind froh über den Gehörschutz. Dass es heute tatsächlich laut werden könnte im Zürcher Letzigrund, lässt sich drei Stunden vor Konzertbeginn bereits erahnen, als Mick Jagger und Bandkollegen zum Soundcheck auf der Bühne erscheinen und erste, bekannte Takte ihrer Hits anspielen.

Die Stiftungskampagne für Aufklärung und Prävention trifft im Letzigrund auf offene Ohren. «Wenn es mir zu laut wird, dann werde ich den Gehörschutz benutzen», sagt der 47-jährige Solothurner Böbu Hüssi und steckt das blaue Päckchen in seine Hosentasche.

Sehr gern lässt sich der Solothurner noch ablichten. Nebst der Verteilung von Gehörschutz laden Egli und Pilet Konzertbesucher ein, sich von einer automatischen Fotobox in der Hear the World Pose für bewusstes Hören – mit der Hand hinter dem Ohr – fotografieren zu lassen. Feifei Pilet drückt den Startknopf auf dem Display und macht damit die Kamera aufnahmebereit. Ein kurzer Countdown, schon folgt der Kamerablitz. Sekunden später hält Hüssi sein persönliches Erinnerungsfoto in den Händen. Wer möchte, kann das Foto auch per Email verschicken. Thomas Frank lässt sich nicht lang bitten. Mit seiner Freundin ist er extra für das Konzert aus Berlin angereist. Arm in Arm grinst das Paar in die Kamera. Die beiden freuen sich über den Schnappschuss. Der 45-Jährige Berliner findet die Aufklärungsarbeit der Stiftung «eine coole Aktion». Das Thema Prävention sei wichtig, sagt er. «Wenn ich zu Konzerten gehe, nehme ich immer Gehörschutzstöpsel mit.» Viele seiner Bekannten hätten bereits Hörprobleme, weil sie in der Jugend zu häufig laute Musik gehört hätten, ohne ihr Gehör zu schützen.

Seit 2016 arbeitet die Hear the World Foundation mit dem Schweizer Konzertveranstalter abc Production zusammen. «Wir wollen dabei nicht mit erhobenem Zeigefinger oder bevormundend auftreten, sondern die Besucher auf sympathische Weise abholen und präventiv aufklären», betont Elena Torresani, Geschäftsführerin der Hear the World Foundation. Noch immer seien sich viele Menschen nicht bewusst, dass zu laute Musik zu dauerhaften Hörschäden führen könne, so Torresani. «Wir möchten für einen Konzertgenuss ohne Reue sorgen.» Daher auch die Fotobox, mit der die Sonova Freiwilligen mit Konzertbesuchern ins Gespräch kommen und Aufklärungsarbeit zum Thema Gehörschutz leisten können. «Mit den Fotos wollen wir erreichen, dass den Besuchern die Aktion von Hear the World in Erinnerung bleibt», erklärt Torresani. Zudem zeigt die Stiftung einen kurzen Präventionsspot, in dem internationale Stars auf die Gefahren von zu lauter Musik aufmerksam machen, und empfiehlt den Gebrauch von Gehörschutz auf Musikveranstaltungen.

Der Chef von abc Production André Béchir freut sich über die Zusammenarbeit mit der Hear the World Foundation. «Als Konzertveranstalter liegt die Kooperation und Präventionsarbeit mit einem Hörgerätehersteller praktisch auf der Hand», sagt Béchir. «Zu einem Konzert kommen die Leute in Vorfreude und gut gelaunt. Das ist der beste Moment, um sie zu sensibilisieren und ihnen klar zu machen, das jeder selbst verantwortlich ist, sein Gehör zu schützen.»

Nach drei Stunden haben die Sonova Freiwilligen Katrin Egli und Feifei Pilet fast alle Ohrstöpsel verteilt. «Es hat grossen Spass gemacht», betont die 33-jährige Pilet und grinst. Egli zupft sie am Ärmel. In wenigen Minuten beginnt das Konzert der Rolling Stones und sie müssen noch ihre Plätze finden. Beide stecken sich noch rasch ein Päckchen Gehörschutzstöpsel in die Hosentasche. «Jetzt kann’s losgehen», sagt Egli lachend.